Wieder mehr Tuberkulosefälle

Veröffentlicht: 18. Feb 2016  | Tags: Tropenmedizin

Artikel aus der MainPost vom 15.2./Tilman Toepfer

Berlin/Würzburg

Die Zahl der Tuberkulosefälle in Deutschland ist in den vergangenen Jahren wieder gestiegen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) erkrankten 2014 insgesamt 4488 Menschen, 169 mehr als im Jahr zuvor. Der Zustrom von Migranten führt zu einem weiteren Anstieg. Von „sehr vielen Fällen bei Flüchtlingen“ in den vergangenen Monaten berichtet August Stich, Chefarzt der Tropenmedizin an der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg.

Ausgerechnet jetzt ist der aktuell einzige in Deutschland zugelassene Hauttest zur Diagnose der Tuberkulose knapp. Konkret betrifft der Engpass das sogenannte Tuberkulin, ein Präparat aus abgetöteten Tuberkulosebakterien. Der dänische Hersteller kann voraussichtlich erst im Frühjahr wieder liefern, das Präparat ist das einzige in Deutschland zugelassene Humantuberkulin.

„Ja, wir sind in unseren diagnostischen Möglichkeiten eingeschränkt“, bestätigt Chefarzt Stich, sieht aber „keine unüberbrückbare Lücke“. Als Alternativen gibt es Röntgenuntersuchung und Bluttest. Letzterer ist deutlich teurer und bei unter Fünfjährigen nach Angaben von Stich nicht so zuverlässig wie der Hauttest. Die Nachfrage nach dem Tuberkulin hat in den vergangenen Monaten auch in Deutschland angezogen.

Ein Grund ist der Zuzug von Migranten aus Ländern mit hoher Tuberkuloserate. Das Infektionsschutzgesetz schreibt vor, dass Personen, die in eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge aufgenommen werden, ein ärztliches Zeugnis vorlegen müssen, dass bei ihnen keine Anhaltspunkte für eine ansteckungsfähige Lungentuberkulose vorliegen.

Bei Personen älter als 15 Jahren wird eine Röntgenaufnahme der Lunge gefordert. Für Kinder und Jugendliche führt das Gesetz nicht weiter aus, auf welche Untersuchungen sich das ärztliche Zeugnis zu stützen hat. In Bayern hält man die Untersuchung von Kindern unter zehn Jahren aus medizinischen Gründen für nicht erforderlich, erläutert Dr. Yvonne Heuring, Tuberkuloseberaterin der Regierung von Unterfranken.

Flüchtlinge leben zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften. Sie sind für Einheimische keine Tuberkulose-„Gefährder“, aber selbst höchst gefährdet, betont der Würzburger Professor Stich. In Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften leben sie längere Zeit eng zusammen, es bestehe „eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Übertragung“, so das RKI. Auch Mediziner Stich hält Flüchtlinge für „sehr“ gefährdet. Umso wichtiger sei der Aufbau einer – wie Stich es nennt – niederschwelligen Gesundheitsvorsorge.

Das Asylbewerberleistungsgesetz hängt nach Stichs Auffassung die Schwelle zu hoch. Flüchtlinge bräuchten einen Lotsen im Gesundheitswesen, grundsätzlich sollten sie deutschen Patienten gleichgestellt werden. „Gesundheitsvorsorge ist ein Menschenrecht“, sagt Stich.

Auch aus der Politik sind Stimmen zu hören, Migranten hätten keine Beiträge fürs deutsche Gesundheitssystem erbracht und sollten deshalb auch nicht davon profitieren. August Stich hält das für kurzsichtig: „Auch zu unserem eigenen Schutz müssen wir den Zugang zur Gesundheitsversorgung für Betroffene verbessern.“

Bei Kindern und jugendlichen Migranten wird bekanntlich der rasche Besuch von Kindergärten und Schulen angestrebt. Gerade tuberkulosekranke Kinder zeigen oftmals keine typischen oder gar keine Symptome und nur unspezifische Befunde, heißt es beim RKI. Unerkannte Tuberkulosen aber bergen das „Risiko der Transmission in die Allgemeinbevölkerung“. Und wird dann doch ein TBC-Fall diagnostiziert, löst das schnell oftmals umfangreiche Untersuchungen in der Umgebung TBC-Kranker aus.

Quelle MainPost Ausgabe 15.2.16

Hören Sie dazu auch ein Interview mit Prof. August Stich im Bayerischen Hörfunk:
TB-Erkrankte Flüchtlinge sind keine Gefahr für die Allgemeinheit

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Prof. Dr. August Stich